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Der Bund (Berner
Tageszeitung),
12.08.2004, Thomas Allenbach
Ich erwarte das Unerwartete
Der deutsche Schauspieler Udo Kier über das Böse, Vampire und seine
Juryarbeit am Filmfestival Locarno
Udo Kier, eine der schillerndsten Figuren des zeitgenössischen Kinos,
ist der Star in Locarnos Jury. Im Gespräch zeigt sich der Mann, der
auf der Leinwand immer wieder teuflische Rollen gespielt hat, von
seiner verbindlichen und freundlichen Seite.
Bund: Udo Kier, beginnen wir ganz am Anfang Ihrer erstaunlichen
Karriere. Erzählen Sie uns die Geschichte Ihrer Geburt?
Udo Kier: Ich habe da keine Geheimnisse, die Geschichte habe ich zudem
auch schon in Lars von Triers Film «Epidemic» erzählt. Ich wurde im
Krieg geboren, am 14. Oktober 1944 in Köln. Ich war erst wenige
Minuten auf der Welt, da gab es Fliegeralarm. Die Schwestern sammelten
die Kinder ein, meine Mutter aber wollte mich noch in ihren Armen
halten. Dann kamen die Angriffe und meine Mutter sah, wie die Wände
des Spitals einstürzten. Die Schwestern warfen sich schützend auf all
die Neugeborenen, konnten sie aber nicht mehr retten. Alle tot,
überall Blut. Meine Mutter hatte Glück, weil ihr Bett in einer Ecke
stand und durch die Architektur geschützt wurde. Mit einer Hand hat
sie mich festgehalten, mit der andern hat sie ein Loch durch die Mauer
gegraben. Sie konnte Zeichen geben, und Soldaten haben uns
ausgegraben. Ich wurde also ganz dramatisch geboren - deshalb bin ich
wahrscheinlich auch Schauspieler geworden.
Und diese Geschichte ist tatsächlich wahr?
Aber sicher, das ist ein Tatsachenbericht, so hat meine Mutter mir das
erzählt. Es wäre doch pervers, wenn ich schon über meine Geburt eine
Geschichte erfinden würde. Ich sage in Interviews übrigens immer die
Wahrheit - das hat mich Fassbinder gelernt. So bin ich zum Beispiel
immer dazu gestanden, dass ich ohne Vater und in sehr armen
Verhältnissen aufgewachsen bin. Oder dass ich viele schlechte Filme
gemacht habe.
In Lars von Triers «Kingdom» haben Sie als Erwachsener diese Geburt
noch einmal gespielt.
Mit dieser Szene habe ich drei Tage lang kämpfen müssen, das war
psychologisch eine große Herausforderung. Es gibt ja diesen
Bibelspruch: Warum bin ich nur aus dem Mutterleib hervorgekommen, wenn
ich nur Schmach und Schande ertragen muss? Den habe ich auch in einem
meiner Filme zitiert.
Sie haben nicht nur mit Lars von Trier gedreht, sondern zuvor mit
Paul Morrissey, Rainer Werner Fassbinder, Christoph Schlingensief. Das
sind alles ziemlich exzentrische Persönlichkeiten...
...ich bin auch Exzentriker. Viel wichtiger ist: Das sind alles
Regisseure, die sich durch ihre Qualität von andern abheben.
Wie kamen Sie zu diesen Engagements?
Ich habe alle diese Regisseure nicht über den kommerziellen Weg, also
über Agenturen oder Castings, getroffen, sondern oft dank Zufällen,
ich habe da einfach wahnsinnig viel Glück gehabt. Fassbinder lernte
ich in Köln in einer Arbeiterkneipe kennen, da war er 15 und ich 16
Jahre alt. Paul Morrisseys Bekanntschaft machte ich, weil ich
zufälligerweise auf einem Flug neben ihn zu sitzen kam. Schlingensief
habe ich unter einem Tisch getroffen, mit Tilda Swinton. Weil es in
der Kneipe so laut war - das war in Berlin während der Filmfestspiele
- haben wir uns unter den Tisch zurückgezogen. Wir haben uns bei
Rotwein die Hand geschüttelt und beschlossen, dass wir einen Film
zusammen machen. Vier Wochen später haben wir «Egomania - Insel ohne
Hoffnung» gedreht, fast ohne Geld. Schlingensief musste dann jahrelang
als Aufnahmeleiter beim Fernsehen arbeiten, um seine Schulden zu
bezahlen.
Sie haben vor kurzem «Manderlay» mit Lars von Trier abgedreht, die
Fortsetzung von «Dogville». Von Trier, so heißt es immer wieder, sei
in seinem Umgang mit Schauspielern ein Sadist. Stimmt das?
Ich habe keine Probleme mit ihm. Aber ich würde ihn auch nie fragen,
wie ich eine Rolle spielen soll, denn ich weiß, er mag keine
Schauspieler, die spielen. Es kommt schon vor, dass er andern sagt,
sie sollten 1000 Prozent weniger spielen. Das ist für die natürlich
ein Schock. 1000 Prozent weniger? Da fragt man sich schon, zu was soll
ich jetzt zurückgehen? Zu nichts? Das ist ganz schwer für uns
Schauspieler. Denn wir spielen immer, das geht ins Blut über.
Sie haben über 150 Filme gedreht, von Titeln wie «Die Insel der
blutigen Plantage» über Fassbinders Melodramen bis zu Blockbustern wie
«Blade» und «End of Days». Gibt es auch Filme, die Sie nicht machen
würden?
Das hört sich jetzt überheblich an, aber ich bin Gott sei Dank
tatsächlich in der Situation, dass ich nichts mehr beweisen muss. Ich
kann einen schlechten Film drehen, ich kann einen Oscar-gekrönten Film
machen, ich kann als Sex-Gespiele in Madonnas «Erotica»-Video
auftreten oder in einem B-Picture mit Pamela Anderson. Pamela Anderson
finde ich halt toll, Madonna auch, das sind ja Phänomene, und warum
soll man nicht mit einem Phänomen arbeiten? Ich habe sogar einen Film
mit Brigitte Nielsen als Ehefrau gedreht.
Viel zu Ihrem Image als Kultfigur haben Ihre Vampir-Darstellungen
beigetragen. Weshalb haben Sie diese Rolle immer wieder gespielt,
zuletzt in «Shadow of the Vampire»?
Bietet man mir eine Hauptrolle neben John Malkovich und Willem Dafoe
an, bin ich natürlich dabei, denn ich weiss genau, dass diese beiden
nicht irgendeinen Schmarren drehen. Allerdings fühlte ich mich auf
diesem Dreh unwohl. Es gab da zu viele Egomanen um mich herum. Ich
habe mich, erstmals in meiner Karriere, zurückgenommen und habe mich
vor der Kamera so verhalten, dass der Kameramann gefragt hat, wo ich
mich denn verstecke. Als der Film in den USA herauskam, meinten viele,
das sei meine beste Rolle. Ich schaute mir den Film an und merkte
sofort warum: Weil ich mich ganz auf meine Ausstrahlung verlassen
habe. Ich gehöre Gott sei Dank zu den Schauspielern, die auch dann
noch interessant sind, wenn sie nichts tun.
Meistens haben sie das Ende Ihrer Filme nicht erlebt. Sterben Sie
gerne auf der Leinwand?
Ganz einfach ist das Sterben nicht, ich meine, man muss sich ja auch
in diesen Szenen etwas vorstellen, man liegt nicht einfach hin und
macht die Augen zu. Trotzdem sterbe ich gerne - außer in
Großproduktionen, weil ich dann in der Fortsetzung nicht mehr dabei
bin, wie zum Beispiel bei «Blade». Wenn es gar nicht zu umgehen ist,
wie zum Beispiel beim Schwarzenegger-Film «End of Days», schaue ich
darauf, dass man sich für meinen Tod wenigstens eine neue Variante
ausdenkt. Bei diesem Film hat man sich für eine effiziente Lösung
entschieden: Jemand haut mir seine Faust durch den Kopf, meine
Hirnmasse bleibt an seinen Knöcheln kleben - bon appétit.
Mit Auftritten wie diesen werden Sie sich kaum je einen Oscar
holen.
Hollywood ist eine Industrie, und ich bin da ein Fabrikarbeiter. Ich
weiß natürlich, dass ein großer Studiofilm keinen Deutschen in einer
Hauptrolle besetzt. Dafür braucht man Stars, von denen man annimmt,
dass sie die Leute ins Kino ziehen. Ich habe diese Funktion bei
Independent-Filmen. Dank den kommerziellen Filmen habe ich ein großes
Publikum, und das verleiht mir einen Wert für die unabhängigen
Produktionen. Bin ich dabei, ist das für Produzenten ein Motiv, einen
Film zu finanzieren.
Sie haben, mit Betonung auf ihrer sehr teutonischen Ausstrahlung,
immer wieder das Böse verkörpert, in «Breaking the Waves» etwa gar den
Teufel persönlich. Woher kommt Ihre Faszination für dunkle Charaktere?
Das Gute ist einfach gut, da gibt es keine Steigerung. Das Böse aber
kennt keine Grenzen und ist deshalb einfach interessanter. Das merkt
man auch an der Reaktion des Publikums. Wenn die Leute zu mir sagen: «You're
so evil», und sie sagen das, als ob sie dabei einen Orgasmus hätten,
ist das doch wunderbar. Zum Bösen habe ich offenbar eine besondere
Affinität. Ich sage immer: Um den Teufel zu spielen, musst du ein
Engel sein, denn der Teufel war ja auch ein Engel, ein gefallener
Engel.
Und wie sind Sie privat? Teufel oder Engel?
Da bin ich so ziemlich das Gegenteil zu meinen Filmrollen. Ich rette
Hunde von der Strasse - ich liebe Hunde, das sind treue Freunde. Ich
liebe die Arbeit im Garten, am liebsten hege ich Bäume, sie sind meine
Kinder. An ihnen sehe ich, wie ich älter werde. Die Palmen in meinem
Garten in Los Angeles sind mittlerweile 15 Meter hoch. Daran wird mir
bewusst, wie lange ich schon in dieser Stadt lebe.
Wie möchten Sie leben?
Kennen Sie den Roman von Joris Karl Huysmans, «A rebours», «Gegen den
Strich» auf Deutsch? Das Leben der Hauptfigur dieses Romans würde mir
gefallen. Er lebt ohne Uhr, er hat zwei Nonnen engagiert, die jeden
Tag Punkt zwölf an seinem Fenster vorbeigehen - so was würde mir auch
gefallen, es müssten nicht unbedingt Nonnen sein, es könnte auch ein
Vogel sein, der an mein Fenster klopft. Ich habe übrigens mal einen
Film gemacht mit dem Schweizer Renato Berta als Kameramann, der von
diesem Roman inspiriert ist. Ich liege da im Wasser, umgeben von
Schildkröten, die mit Schmuck überzogen sind, und werde von meinem
eigenen Schatten vergewaltigt. Auch nicht schlecht, oder?
Gibt es eine Rolle, die sie unbedingt noch spielen möchten?
Als ich jung war, wollte ich Arthur Rimbaud spielen, später dann
Gilles de Rais, den Kindermörder. Aber jetzt, wen soll ich denn jetzt
noch spielen?
Vor ein paar Jahren kündeten Sie einen eigenen Dogma-Film an. Was
ist aus dem Projekt geworden?
Der Film wird wahrscheinlich erscheinen, wenn niemand mehr weiß, was
Dogma ist. Ich habe mir zu viel aufgeladen, egoistisch wie ich war.
Ich bin Produzent, Autor, Regisseur und spiele die Hauptrolle. Ein
Fehler war, dass ich Freunde engagiert habe. Da ist einiges in die
Brüche gegangen, weil ich das Gefühl hatte, mein Geld werde zum
Fenster rausgeschmissen. Im Film spiele ich einen Transsexuellen im
Rollstuhl, der nach Amerika geht und mit anderen Leuten im Rollstuhl
einen Club gründet, «Outsiders on Wheel», dessen Präsident ich bin.
Wir sind alle Krüppel und leben von Telefonsex. Wir beschreiben uns
als die wunderschönsten Frauen und kriegen dafür Geld.
Hier in Locarno sind Sie in der internationalen Jury. Als erstes
haben Sie ein Tabu gebrochen: Zum ersten Mal amtet eine Jury ohne
Präsidenten. Weshalb das?
Ich war vor zwei Jahren in Moskau Jury-Präsident, und da wurde ich
nicht geliebt. Ich habe damals meine Position benutzt und dem Film «Amores
perros», in den ich mich richtiggehend verliebt habe und der zuerst
auf viel Widerstand stieß, zum Hauptpreis verholfen. Diesen Einfluss
habe ich jetzt nicht mehr.
Sie entscheiden in Locarno über die Karriere von Filmen. Was ist
ein guter Film?
Am wichtigsten ist, dass er mich emotional berührt. Dann erwarte ich
von einem guten Film, dass er unprätentiös ist. Man kann auf einer
Masche ja auch Rumreiten: Wenn jemand gut sein will, muss er ja nicht
jeden Vogel füttern, den er auf der Strasse findet. Und dann mag ich
Filme, die eine neue Filmsprache entwickeln, wie zum Beispiel «Amores
perros». Mit einem Wort: Ich erwarte das Unerwartete.
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