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FHM,
# 6, Juni 2002, Christian
Kallenberg
"Hitler war eine
Frau!"
Ein 57-jähriger Schauspieler denkt beim Weißwein an Nicole Kidman in
seiner Sauna. Oder kurz: Kier Royal
Waren Sie gerade beim Essen?
Ja, ich saß mit Lars von Trier, Nicole Kidman und dem Team von
Dogville unten im Restaurant. Aber jetzt bin ich fertig.
Was? Sie lassen Nicole Kidman sitzen, um ein Interview zu machen?
Ja was denken Sie denn? Dass ich sonst den ganzen Abend neben ihr
sitze und ihr in den Ausschnitt sabbere? Nein, nein, nein. Ich arbeite
und rede doch den ganzen Tag mit den Leuten, da muss ich nicht auch
noch den Abend mit ihnen verbringen.
Trotzdem ist es doch nett, neben Frau Kidman zu sitzen?
Ja. Sie ist eine sehr schöne und kluge Frau.
Ich fühle mich auf jeden Fall geehrt, dass Sie sich Zeit nehmen.
Ich bitte Sie, das gehört doch zum Job dazu.
Sie sagten, Sie drehen Dogville . Ich dachte,
sie drehen dieses Mammutprojekt mit Lars von Trier.
Nein. Dimension oder das Mammutprojekt, wie Sie es nennen,
drehen wir immer an ein paar Tagen in der Weihnachtszeit, genau drei
Minuten. Insgesamt werden die Dreharbeiten 30 Jahre dauern. Im Moment
sind wir im achten.
Die Premiere soll 2024 sein. Sie sind jetzt 57. Erleben sie die
Premiere noch?
Ich hoffe doch. Die Chancen stehen gut.
Wäre ja auch doof, wenn nicht.
Da haben Sie Recht. Ich freue mich schon drauf, wenn man in 90 Minuten
sieht, wie die Schauspieler um 30 Jahre altern - ohne Schminke.
In Ihrem neuen Film Auf Herz und Nieren
spielen Sie mal wieder den Bösen.
Nein, ich spiele einen Doktor, der jemandem die Organe rausnehmen
will. Was ist daran böse? Organhandel ist doch heutzutage eine
vollkommen alltägliche Sache.
Und Sie selbst sind es eh gewöhnt, mit Organen zu hantieren.
Das ist allerdings richtig. Damals bei Frankenstein musste ich in
einem Körper wühlen und Organe rausholen. Die waren allerdings echt.
Zwar waren es Tierorgane, aber die wurden ganz schnell schlecht, weil
es so warm war. Das stank wirklich bestialisch. Stellen Sie sich das
mal vor, ich musste mich mit diesen Dingern bewerfen und dabei einen
Orgasmus vortäuschen!
Da gibt es schönere Situationen, einen Orgasmus vorzutäuschen.
Da haben Sie Recht. Aber so was mache ich nicht.
Einen Orgasmus hat doch jeder schon vorgetäuscht.
Wie meinen Sie das jetzt? In sexueller Hinsicht? Nein, da habe ich
noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. Ich habe immer echte. Das ist
doch ein furchtbarer Gedanke, als Mann einen Orgasmus vortäuschen zu
müssen. Wie soll denn das gehen?
Na ja, manche Männer sind ja ziemlich schnell fertig. Und die
Frauen......
Ja, eben, ist doch super. Kurz ausruhen und auf zur nächsten Runde.
Frauen müssen aber öftr mal einen Orgasmus vortäuschen.
Kann sein. Aber egal.
Sie haben auch mal gesagt: "Es gibt so viele Variationen bei
sexuellen Erlebnissen, dass man stundenlang darüber sprechen könnte."
Ja, das könnte ich gesagt haben. Stimmt ja auch. Aber wir wollen über
Film sprechen.
Ach so. Sie spielen immer den Bösen. Ist das nicht auf Dauer
langweilig?
Nein, im Gegenteil. Im Film kann ich so böse sein, wie ich will. Da
gibt es so viele verschiedene Variationen. Ich habe zum Beispiel
gerade in London Adolf Hitler als alte Frau gespielt. Jetzt sagen Sie
nicht, dass das langweilig wäre.
Wie bitte?
Ja, die Geschichte ist folgende: Bei Kriegsende ist Adolf Hitler nach
England geflohen, die Leiche, die man fand, war gefälscht. In London
wartete er als alte Frau auf einen Brief von Goebbels mit dem Ticket,
das ihn nach Argentinien bringen sollte.
Hitler war eine Frau?
Er war als Freu verkleidet. Er musste ja auf dem Weg zum Postamt jeden
Tag unerkannt bleiben. Jedenfalls verliebte sich sein jüdischer,
blinder Nachbar in ihn. Eines Abends sitzen die beiden zusammen und
trinken Schnaps. Irgendwann steht der Jude auf und fällt Hitler
zwischen die Beine. Da findet er etwas, was da eigentlich nicht hätte
sein sollen. Die beiden geraten aneinander, der Jude steckt Hitler mit
dem Kopf in den Gasofen und dreht das Gas an. Vom Gas benebelt fallen
beide in Ohnmacht. Am nächsten Morgen rappelt sich der Jude auf und
schwankt aus der Wohnung. Kurz darauf kommt der Postbote mit dem
ersehnten Ticket nach Argentinien. Er drückt auf Klingel und durch den
elektrischen Funken fliegt alles in die Luft.
Schöner Film, Herr Kier.
Ja, fand ich auch.
Sie haben mal gesagt: "Um einen Teufel spielen zu können, muss man
ein Engel sein." Hitler war ohne Frage ein Teufel. Sind Sie ein Engel?
Schon wieder ein Zitat. Dieses ist allerdings ganz neu, das habe ich
erst kürzlich gesagt. Das ist eine neue Sache von mir. Ich erfinde
permanent neue Zitate.
Stimmt es trotzdem?
Ja, sicher doch. Also glauben Sie mir, ich bin im Privatleben ein ganz
normaler Mensch. Ich gehe selbst einkaufen, ich koche selbst, ich habe
zwei Hunde, ich arbeite im Garten und lebe in einer ganz normalen
Nachbarschaft.
Sie haben mehrere Häuser.
Ja, zwei, um genau zu sein. Eins in L.A. und eins in der Wüste. Fehlt
noch eins am Wasser, dann hätte ich alles vereint.
Soll das Haus in den USA stehen?
Ja, natürlich. Alles muss in zwei Stunden erreicht werden können.
In Südafrika beispielsweise wäre es billiger.
Vor allem wäre es eine billige Variante, sich da abstechen zu lassen.
ist ja nicht so ungefährlich da. Da bräuchte ich viele Zäune.
Wie wollen Sie den sterben?
Irgendwie so, dass ich es nicht merke.
Im Schlaf?
Ja oder mit einem himmelblauen Porsche irgendwo über die Klippen
rasen.
Das würden Sie aber schon merken.
Kommt darauf an, wie viel Wodka ich vorher trinke.
Und wie wäre es mit einem Faustschlag durch den Kopf?
Ach so, wie ich in The 6th Day sterbe. Nein, das ist mir zu
brutal.
Wieso hat man Sie da so komisch umgebracht?
Die Leute in Hollywood haben mittlerweile Probleme damit, mich
umzubringen. Das kam schon so oft vor, dass ihnen die Ideen ausgehen.
Ich bin schon explodiert, geschmolzen und so weiter. Die Macher bei
dem Film haben auch ewig überlegt. Und dann sind sie auf diese Methode
gekommen. Sieht ganz schön fies aus, nicht wahr?
Aber sagen Sie, warum haben Sie jetzt kein Haus am Wasser?
Das bekommt man nicht geschenkt.
Sie haben so viele Filme gemacht.
Na, hören Sie. Ich habe auch Filme mit Schlingensief gemacht oder
andere Low-Budget- bis No-Budget-Filme. Da gibt es nicht so viel Geld.
Außerdem habe ich früher Filme gemacht, da bekam ich in einer Woche so
viel Geld wie junge Leute heute an einem Tag.
Immerhin.
Ich beklage mich ja nicht. Aber so viel Geld ist das nun auch nicht.
Was für ein Haus würden Sie sich denn kaufen?
Ich fände ein fliegendes Haus gut.
Ein Flugzeug?
Ja, genau, so wie Nicole Kidman. Das ist richtig praktisch. Wenn sie
irgendwo dreht, kommt sie einfach mit ihrem Flugzeug.
Aber das Geld.
Genau. Und außerdem weiß ich nicht. Brauche ich das? Ich glaube, ich
würde mit dem Geld lieber 25 Hunde kaufen.
Hunde?
Ja, ich finde Hunde super. Vor allem ist es in den USA so, dass
herrenlose Hunde getötet werden. Die würde ich alle kaufen.
Aber die kosten nicht so viel wie ein Haus.
Ich meine ja nur so als Beispiel.
Sie haben ein großes Herz.
Ich habe ein richtiges Herz. Kein großes Herz. Hören Sie bloß auf, das
hört sich so nach Krankheit an. Oh nein, ein großes Herz will ich
nicht haben.
Zurück zu Ihrer Nachbarschaft. Ich hab gehört, dass Ihre Gegend
ziemlich hart sein soll.
Das war mal. Mittlerweile ist es in, dort zu wohnen. Und ich wohne
schön. Ich kann beim Kaffeetrinken auf den Hollywoodschriftzug gucken.
Dann weiß ich sofort, warum ich da bin.
Sie wurden ja auch lange damit geärgert. Ihre Tante hat ihnen
früher immer Fotos von Palmen geschickt.
Donnerwetter, Sie haben sich aber gut vorbereitet. Aber das Zitat ging
etwas anders, es waren Ansichtskarten mit Palmenmotiven. Im Grund
stimmt es aber. Ja und heute habe ich die Palmen in meinem Garten.
Ein Engel mit Palmen im Garten. Sie sollen bei einer möglichen
Verfilmung auch für die Rolle des Osama Bin Laden im Gespräch sein.
Nein, das stimmt nicht. Ich glaube nicht, dass es über diese Sache
einen Film geben wird. Das wäre geschmacklos.
Gefällt es Ihnen in den USA nach den Anschlägen von New York?
Da hat sich schon einiges verändert. Was mich im Moment stört, ist
dieser Amerikanismus überall. Jeder hängt seine Fahne raus, 91 Prozent
sind für Bush. Das ist schon befremdlich.
Hängen Sie auch was raus?
Sie schon wieder. Sie meinen, ob ich was aus meiner Hose baumeln
lasse.
Nein, ich meine eine Fahne.
Ach so, nein, keine deutsche Fahne, keine amerikanische, auch meinen
Schwanz nicht.
Laut Spiegel haben Sie gesagt, es sei ein Klacks für Sie, Osama zu
spielen.
Das habe ich nie gesagt. Dann sehen Sie mal wieder, was ihr
Journalisten alles mit mir anstellt. Aber zum Glück kann ich dieses
Interview ja vor dem Druck gegenlesen. Ich bin mal gespannt, was Sie
mir alles in den Mund legen.
Nur das, was Sie auch gesagt haben, Her Kier. Wieso lesen Sie Ihre
Inteviews eigentlich erst seit kurzem gegen? Sie sprechen ja nicht
erst seit gestern mit Journalisten.
Meine Agentur hielt das für richtig. Früher war mir das ja alles egal,
was über mich geschrieben wurde. Aber wenn man dann Sachen liest, die
man nie gesagt hat, ändert sich das eben. Und eigentlich ist das mit
dem Gegenlesen auch nicht nötig. Wenn jemand was erfindet, kommt er
eben auf eine schwarze Liste. So wie einer vom Stern. Dem habe ich mal
drei Tage lang ein Inteview gegeben und in der gedruckten Version war
nichts von mir übrig. Pech für ihn.
Sie haben also normalerweise ein gesundes Gottvertrauen.
Ja, natürlich. Ich bin mein ganzes Leben lang ehrlich gewesen. Ich
lüge nicht.
Jetzt lügen Sie mich aber an.
Nenenenene! Sagen Sie mal, Sie sind ganz schön frech. Wie alt sind Sie
eigentlich?
25.
Ach, deswegen. Jedenfalls lüge ich nicht.
Sie sind doch Schauspieler. Sie tun so, als ob. Da ist die Lüge
doch Beruf.
Ja, ja, das ist doch ganz was anderes. Sie legen mir hier irgendwelche
Sachen in den Mund. Ich will den Artikel unbedingt vorher lesen.
Es ist ein Interview.
Das Inteview eben.
Können Sie. Zurück zu Ihrem Regisseur Lars von Trier. Sie sind der
Patenonkel seines Kindes.
Ja, seiner ersten Tochter. Und ich freue mich sehr darüber. Denn Lars
meint das wirklich ernst. Für ihn ist das nicht nur eine Geste. Für
ihn bedeutet das, dass ich für den Fall, dass - Gott bewahre - ihm und
seiner Frau etwas zustößt, ich mich um die Kleine kümmere. Ich habe
drei Minuten überlegt, bevor ich Ja gesagt habe, das können Sie mir
glauben.
Onkel Udo. Wie alt ist sie eigentlich?
13. Wir schreiben uns regelmäßig E-Mails und telefonieren
gelegentlich. Mittlerweile geht das ganz gut, denn sie kann Englisch.
Lernen Sie von Ihrem Patenkind? Hat sie Ihnen erklärt, wer Britney
Spears und Westlife sind?
Na, hören Sie mal! Ich habe in den Musikvideos von Madonna, Eve und
Gwen Steffani und der Rockgruppe Korn mitgespielt. Ich kenne mich
selbst sehr gut mit Musik aus.
Was hören Sie denn so?
Unterschiedlich. Ist von meiner Stimmung abhängig. Mal höre ich
schwere, depressive klassische Musik und bevor ich ausgehe, höre ich
Pop.
Ich dachte, Sie sind nicht so der Partytyp.
Was soll das denn heißen? Wenn ich irgendwo in einer fremden Stadt
arbeite, dann sitze ich doch abends nicht die ganze Zeit im Hotel.
Wohin gehen Sie denn? Ins Theater?
Ins Theater? Ich bin Schauspieler. Meinen Sie, wenn ich den ganzen Tag
mit diesem Völkchen zugebracht haben, mich über den Regisseur geärgert
oder mit Kollegen gestritten habe, gehe ich abends noch ins Theater?
Da müsste ich doch bescheuert sein.
Ich vermute, Kino scheidet damit auch aus.
Richtig erkannt. Ich gehe einfach in die Kneipe, trinke ein Bier und
beobachte die Menschen. Ich bin ein Voyeur. Ich liebe es, anderen
Menschen zuzusehen.
Gehen Sie auch in Sexklubs?
Wieso nicht? Das ist doch aufregend und erotisch. Vor einiger Zeit war
ich in Begleitung in einem Sexklub. Da kam ein Mann auf sie zu und hat
mich gefragt, ob er ihre Zehen lutschen kann. Ich habe das kurz mit
ihr abgesprochen und es war okay.
Sie finden es erotisch, wenn ein anderer Mann Ihrer Begleitung die
Zehen lutscht?
Ich meine ja die ganze Atmosphäre in solchen Klubs. Und außerdem:
Erotik kann doch so vieles sein. Ich finde es auch erotisch, jemandem
eine Stunde vom Fenster aus bei der Gartenarbeit zuzusehen. Was finden
Sie denn erotisch?
Also nicht unbedingt Gartenarbeit. Eher Sex im Allgemeinen.
Ach, ich seh schon, Ihnen fehlt die Reife. Aber Sie sind ja auch noch
jung.
Wohnen Sie nicht allein? Wie können Sie da jemanden bei der
Gartenarbeit beobachten?
Sie sind aber auch einer. Ja, ich wohne allein. Ich mache alles
selbst. Kochen, waschen, sogar die Tapeten streiche ich selbst.
Das kommt ja nicht so oft vor.
Bei mir schon, ich bin einer Farbe schnell überdrüssig. Allerdings
wird es wohl noch eine Zeit lang so bleiben, wie es jetzt gerade ist.
Ich habe die Tapeten komplett abgerissen. Darunter kam ein wahres
Kunstwerk zum Vorschein. Auf der ockerfarbenen Wand stehen so Sachen
wie "Steckdose da", "Bohrer dort". Jedenfalls ist die Wand jetzt roh
und man sieht noch die Reste der Klebestreifen von den Tapeten. Muss
ein großer Künstler gewesen sein, der die Tapeten geklebt hat, bei so
viel Kleber.
Sie sind doch auch Kunstsammler.
Ich liebe Kunst, ich sammle Kunst seit 30 Jahren.
Ein teures Hobby.
Nein, nicht wirklich. Ich habe meine Magrittes und die anderen Bilder
damals für Pfennigbeträge gekauft. Jetzt sind sie natürlich viel wert.
Und jetzt hängt Magritte neben "Steckdose da". Gewagte Kombination.
Ach, nein, der hängt natürlich nicht da.
Sie wollen mir aber nicht erzählen, dass Sie Ihren Magritte in den
Keller gestellt haben?
Nein, denn ich habe eigentlich keinen Keller. Im Keller habe ich eine
Gästewohnung für liebe Freunde. Der Magritte hängt schon oben. Aber
ich muss Ihnen ja nicht sagen, wo. Es gibt in meinem Haus Bereiche,
die sind absolut privat.
Welche denn?
Ich lasse zum Beispiel nie Fotos von meiner Toilette machen.
Weiße Schüssel, weißer Deckel. Wer will davon ein Foto?
Das denke Sie. Aber es gibt auch andere Sachen, mit denen man seine
Toilette dekorieren kann.
Mit welchen zum Beispiel?
Mit etwas pornografischen Werken zum Beispiel.
Sie haben Pornos auf der Toilette?
Auf jeden Fall nicht im Wohnzimmer. Dann würden meine Gäste ja nur
noch auf das Bild starren und mit mir nicht mehr reden. Aber wollen
wir nicht mal wieder über Film sprechen?
Okay. Aber erst noch eine Frage zu Ihrer Website www.udokier.de.
Oben in der Browserleiste steht: Udo Kier Royal.
Das mit dem Royal ist ein Wortspiel auf Kir Royal, das Getränk, das
dürften Sie ja kennen.
Allerdings.
Gut. Und wenn Sie wollen, nenne ich mich Ihnen zuliebe wieder Kierspe.
Würde Ihnen das besser gefallen?
Nein. Kierspe klingt wie Knospe oder Knirps, so niedlich. Das sind
Sie nicht.
Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Ich habe mich Kier
genannt, weil Kierspe im Ausland keiner versteht. Kierspe auf Englisch
klingt komisch. ich wollte eben nicht permanent meinen Namen
buchstabieren müssen. Gut, ich hätte mir natürlich auch einen völlig
aus der Luft gegriffenen Künstlernamen geben können wie Johnny
Valentine oder so. Aber das fand ich dann doch etwas peinlich. Die
nächste Frage, bitte.
Sie haben gesagt, dass Sie schon "im Mutterleib psychologisch
gestört" wurden. Stimmt das?
Ja, natürlich. Ich bin 1944 zur Welt gekommen. Im Krieg. Das bedeutet,
meine Mutter hat mit mir im Bauch den Krieg erlebt. Ich bin mit ihr
gerannt, wenn die Bomben fielen, und bei Einschlägen hat sie sich
hingeworfen, auf den Bauch, also direkt auf mich drauf. Ist doch klar,
dass man da psychologische Schäden davonträgt. Und als ich gerade
geboren war, da wurde das Krankenhaus angegriffen.
Wie oft haben Sie die Sache mit dem Kriegsbauch schon erzählt?
Langweilt Sie das nicht?
Nein, im Moment nicht. Ich liege auf dem Bett, habe ein Glas Weißwein
in der Hand, schöne alte Möbel um mich herum - und wissen Sie was? Ich
habe sogar eine eigene Sauna. Aber die benutze ich nicht.
Warum nicht?
Das macht doch keinen Spaß, allein in die Sauna zu gehen. Aber
vielleicht geh ich nachher noch mal runter ins Restaurant und dränge
Lars oder Nicole, mit in die Sauna zu kommen. Mit Nicole Kidman in der
Sauna, das wäre was.
Ich beneide Sie ein wenig. Und alles nur, weil Sie im Mutterleib
psychologisch gestört wurden.
Ja, stellen Sie sich mal vor, wenn es anders gekommen wäre. Wenn ich
behütet aufgewachsen wäre. Was wäre dann nur aus mir geworden?
Wahrscheinlich ein 57-jähriger Bankangestellter in Köln, der auf
seine Rente wartet.
Da könnten Sie sogar Recht haben. Immerhin habe ich eine kaufmännische
Ausbildung gemacht. Stellen Sie sich das mal vor. Da steht dann auf
dem Grabstein: "Geboren in Köln. Gestorben in Köln." Furchtbar.
Herr Kier, ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Ach, Sie wollen nach Hause? Kommen Sie, stellen Sie doch noch ein paar
Fragen!
Ich will jetzt eigentlich zum Billard. Können Sie Billard spielen?
Nein, nicht wirklich gut. Aber ich kann spielen.
Geben Sie mir doch ein paar Tipps.
Was soll ich Ihnen denn für Tipps geben? Wenn Sie die halben Kugeln
haben, sehen sie zu, dass Sie mit der weißen alle halben in die Löcher
bekommen.
Die Regeln kenne ich auch. Können Sie die weiße so anspielen, dass
sie über die gegnerische springt und Ihre Kugel versenkt?
Nein.
Dann können Sie kein Billard spielen. Ist aber auch nicht wichtig.
Finden Sie lieber wen für die Sauna.
Mal gucken.
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