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Gala, # 16, April 1998, José Redondo-Vega
Deutschlands heimlicher Weltstar in Hollywood
Kunst und Kommerz, Europa und Amerika:
Der deutsche Schauspieler Udo Kier agiert gern zwischen verschiedenen
Welten.
GALA besuchte ihn in seiner Wahlheimat Los Angeles.
Die Schrift auf dem Berg verschwimmt. Ein "H", ein "o", noch ein "o",
ein "l", - den Rest verschluckt der Smog. "Nur wegen dieser Aussicht
wohne ich hier", sagt der Mann auf der Terrasse. Er blinzelt, seufzt,
schaut: Der Dunst hat das Wort freigegeben - Hollywood. Da lächelt der
Mann. Der Berg ist weit, auch die Schrift. Gut so, sagt sein Blick.
Näher wird er es nicht an sich heranlassen, dieses Hollywood. Und Udo
Kier, der konzentriert auf die ferne Buchstabenfolge gestarrt hat, so
als müsste er sich vergewissern, dass si immer noch da ist, dreht sich
um, breitet die Arme aus und sagt: "Diese Stadt ist verrückt."
Er musste hier landen, zwangsläufig. Der verrückte Kier und L.A., die
verrückte Stadt der Engel - was haben sie in Deutschland gelästert.
Der Schauspieler Kier: Das war Fassbinder in den 70ern, Filmavantgarde
in den 80ern und Schlingensief in den 90ern . Kier, das ist die Ahnung
einer verstörenden Leinwandpräsenz, die unkontrollierbar wirkt. Kier,
das ist auch die Lust an Independentfilmen mit zweifehaftem Inahlt.
Jeder hat eine Meinung zu Kier, und meistens keine gute. Wann immer
von deutschen Weltstars die Rede ist - der Name "Kier" fällt nie.
Dabei dürfte kein deutscher Schauspieler in den letzten dreissig
Jahren in mehr internationalen Produktionen gespielt haben als der
53-jährige Kier.
Ob in "Eine Concierge zum Verlieben" mit Michael J. Fox, "My Private
Idaho" mit Keanu Reeves und River Phoenix oder "Ace Ventura" mit Jim
Carrey - Udo Kier versteht es immer, sich mit kleinen Gesten in
löchrige Hollywoodgedächtnis zu spielen. Zuletzt in "Barbwire", wo er
als Hausmeister den Hof fegt, "Lili Marleen" pfeift und die Leistung
der drallen Pam Anderson noch dünner aussehen lässt. Viele
Hauptrollen, noch mehr Nebenrollen: Kier ist der grösste unter den
Kleindarstellern - und wird immer noch unterschätzt.
"Ich bin in Hollywood, damit ich weiss dass ich noch da bin", sagt
Kier und lächelt. Natürlich müsse er sich nichts beweisen, "ich doch
nicht". Aber wer schon in den 60ern mit Visconti drehte und von Andy
Warhol für zwei Filme verpflichtet wurde, der gibt sich nicht mit
Halbheiten ab: "Ich wollte mit einer Limousine zum Set gefahren
werden. Meinen Kopf an die Brüste von Anne Nicole Smith legen. Und mit
Bruce Willis drehen." Mögen Namen für andere Schall und Rauch sein,
für Udo Kier sind sie Wegweiser durch eine bizarre Vita, die in Los
Angeles endgültig einen Sinn bekommen soll: "Ich habe keine Familie.
Filme sind meine Familie. Aber sonst lässt mich dieser ganze
Filmrummel völlig kalt." Distanziert und doch mittendrin: Nichts
beschreibt Kiers Verhältnis zur Film-Traumstadt besser als die Lage
seines Domizil in Los Angeles. Niemand käme auf die Idee, diesem
Viertel Silver Lake eine eigene Fernsehserie zu widmen - wie das bei
"Melrose Place" oder "Beverly Hills 90210" der Fall ist. "Freunde
wundern sich immer, warum es ein paar Strassen weiter unten ab und zu
knallt. "Das ist kein Feuerwerk", sage ich dann. "Da schiesst
wahrscheinlich wieder ein Mexikaner seine Frau ab." Trotzdem hat er
sich vor vier Jahren nicht davon abhalten lassen, hierher zu ziehen.
Vorerst. Ein geräumiges Haus mit Garten und einer Terrasse. Innen:
afrikanische Kunst, Originalfotos von Starfotografen Greg Gorman bis
Steven Meisel, Helmut Newton und Robert Mapplethorpe.
Die Tapeten hat er gerade entfernt. "Ich kriege alle drei Monate einen
Rappel", sagt er. "Dann muss ich umdekorieren, Farben aussuchen. Die
Wände sind meine Therapie." Dass Kier seine umfangreichen
Renovierungsarbeiten oft nach ausgedehnten Europatrips beginnt, hält
er für Zufall. Meisten war er dann vorher in Köln: "Dort habe ich noch
ein Wohnung, mein zweites Refugium." Die Heimat lässt ihn nicht los,
auch wenn er das ungern zugibt. "In Köln sind meine Wurzeln. Dort bin
ich geboren", sagt er ruhig. Und plötzlich verwandelt sich das
Wohnzimmer in LA in den Hinterhof einer tristen Kölner Mietskaserne,
Mitte der fünfziger Jahre. Eine Zeit, in der sich noch drei Parteien
eine Toilette teilen. Es richt nach
Kohlsuppe. Und ein kleiner blonder Junge tanzt auf den Schutthalden
einer zerstörten Diktatur. "Ich war so schön, dass die Leute auf der
Strasse stehen blieben." Blonde Haare, grüne Augen, sinnliche Lippen:
Ein Narziss mit Goldmund. Doch Schönheit ist vergänglich, die
Erinnerung bleibt. An kleinbürgerlicher Enge und Rituale als einzigen
Halt im Alltag. Sonntagsessen: Suppe, manchmal Braten, Salat, zum
Nachtisch Obst aus der Dose. In der Woche: Gemüse. "Manche Leute
brauchen ein Leben lang, um Vegetarier zu werden. Ich war es aus
Armut." Sarkasmus als Überlebensstrategie. Kiers kölscher Tonfall wird
unüberhörbar, aber es ist ihm längst egal. Er, der schon in London und
Rom residierte, aus Sehnsucht "nach echten Palmen" seinen ersten
Urlaub in Cannes verbrachte, scheint wieder an jenem Ort zu sein, wo
alles begann und der, "gottlob", für immer verschwunden
ist. "Als Junge habe ich auch Brötchen ausgetragen", erzählt er. "Eine
Mark gab es damals dafür. Und was habe ich damit gemacht? Für fünfzig
Pfennig Sahne gekauft und sofort ausgetrunken. Ich musste mich wohl
für irgend etwas belohnen." Kier kichert.
Weg mit Köln, weg mit allen Erinnerungen. Die Gegenwart zählt, Träume
sind Schäume, und war Amerika nicht das Land der unbegrenzten
Möglichkeiten? Ein Mythos, der sich ständig neu erschafft? Wie der
kleine Kier aus Köln-Mühlheim? Dass auch Hollywood kein
Zuckerschlecken war, erfuhr Kier, als er sich das erste Mal für
Probeaufnahmen vorstellte. "Ich dachte: Du hast Fassbinder überlebt,
du hast einen Namen. Was für ein Irrtum. Man muss sich hier anpassen
und vieles runterschlucken. Manchmal habe ich mir aus Frust einfach
einen Angorapulli gekauft. Mitten im Sommer." Mittlerweile kommt in
der Filmmetropole keiner mehr an Kier vorbei. "Vorausgesetzt", sagt
Kier, "er braucht jemand, der blond ist, das Böse verkörpern und wie
ein wahnsinniger Wissenschaftler schauen kann." Kier kann noch mehr:
zeitlos aussehen. Die wilden Jahre scheinen am 53 jährigen
vorübergegangen zu sein, ohne ihm die Aura eines entrückten
Stummfilmstars nehmen zu können. Gerade hat er eine alte Bahnhofsuhr
gekauft, und wie es sie mit stierem Blick vor die Brust hält, könnte
er einer Szene des Schwarzweiss-Klassikers "Metropolis" entsprungen
sein. Nur in Farbe. Da verwundert es wenig, wenn Kier ein anderes
Fritz-Lang-Werk als "absoluten Lieblingsfilm" nennt: "M - Eine Stadt
sucht einen Mörder". Bernd Eichinger besitzt daran die Filmrechte. Mal
sehen, sagt Kier listig. Eichinger sei ja oft in L.A.
Mangel an Gesprächsstoff muss er nicht fürchten: 1998 scheint Kier der
Sprung in die oberen Besetzungsränge zu gelingen. In "Armageddon" wird
er neben Bruce Willis zu sehen sein, in "Blade" neben Wesley Snipes.
Und der Fernsehserie ABC schickt Kier demnächst mit "Ice" in die
Quotenschlacht. Als wahnsinnigen Wissenschaftler. "Vielleicht bleibe
ich ja ganz hier", sagt er. "Neulich habe ich mir sogar schon Gräber
ausgeguckt. Die Grabstelle neben Regisseur Cecil B. de Mille kostet
nur 3000 Dollar. Irre, was? Udo Kier zögert. Nur nicht zuviel sagen.
Die Sache mit dem Grab hat einen Haken: Hollywood liegt
nicht am Rhein.
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