Playmen, # 2, 1982, Martin Klein

Das Bildnis des Udo Kier

Ein offenes Gespräch mit einem der wenigen deutschen Weltstars

Udo Kier ist ein einmaliges Phänomen. Dies jedenfalls behauptet Gabor Body (Narziß und Psyche," in Locarno mit dem Filmpreis "Leopard" ausgezeichnet), einer der vielen großen Regisseure, mit denen der Schauspieler bisher insgesamt 30 Filme gedreht hat. Angefangen hat die Karriere des gutaussehenden Mannes mit den faszinierenden Augen vor 18 Jahren. Damals hielt sich Udo Kierspe, als welcher er am 14.Oktober 1944 in Köln geboren wurde, in London auf, um Sprachen zu studieren. Gesucht wurde ein Gigolo für
die amerikanische Filmproduktion "Straße nach Saint Tropez". Kiers Aussehen reichte, um genommen zu werden. Eine Richtige Ausbildung als Schauspieler folgte viel später bei der renommierten Lee-Strasberg-Schule im dreimonatigen Intensiv-Kurs. Doch vorher wurde Kier für "Schamlos" engagiert - sein erster deutscher Film, in dem er einen Zuhälterboß mimt. Spätenstens nach seinem dritten Film, "Hexen bis aus Blut gequält", war der Name Kier ein Begriff. Man sprach vom neuen Alain Delon oder James Dean. 
Auch das Fernsehen holte den begabten Darsteller. In "Olifant" spielte Udo Kier neben Vera Tschechowa die Titelrolle, einen häßlichen Jungen, auf dem ein Fluch liegt: Jeder, der ihn liebt, muß sterben. Es folgten für das Kino "Andy Warhols Frankenstein" und " Dracula" unter der Regie von Paul Morissey, "Der letzte Schrei" unter Robert van Ackeren sowie "Die Geschichte der O" unter der Regie des bekannten Just Jaeckin, der auch "Emaneulle" und "Lady Chatterley´s Liebhaber" mit Sylvia Kristel verfilmt hat. 
Dann: "Das fünfte Gebot" mit Helmut Berger. 
Zudem war Udo Kier von Kindheit an eng befreundet mit dem kürzlich verstorbenen Rainer Werner Fassbinder. Mit ihm machte Kier "Bolwieser" (TV) "Die dritte Generation", Berlin Alexanderplatz"(TV) und "Lilli Marleen".Bis zuletzt standen die beiden in engem Kontakt. Agierte Kier nicht vor der Kamera, übernahm er die Ausstattung (Lola) oder versuchte sich in Regieassistenz. 
Diesen emsigen, vielinteressierten Künstler besuchten wir in Köln. PLAYMEN fragte Udo Kier nach seinen ganz privaten Wünschen, Vorstellungen und Vorlieben.

PLAYMEN:
Udo, am Anfang Ihrer Karriere sprach man von Ihnen als dem neuen Alain Delon oder James Dean. Sehen Sie sich selbst auch so?

Udo Kier:
Nein, dieses Image wurde mir damals von der Presse aufgedrückt. Das passiert allerdings nur solange, bis sich die eigene Persönlichkeit herauskristallisiert hat. 

PLAYMEN:
Das war bei Ihnen ja sehr bald der Fall.

Udo Kier:
Richtig. Ich weiß zwar, daß ich am Anfang meiner Karriere nur meines Aussehens wegen in Filmen eingesetzt worden bin. Doch ich hatte das Glück, mit Regisseuren wie Fassbinder, Schroeter oder Robert van Ackeren zu arbeiten, die auf das Aussehen keinen übergroßen Wert legten. Spätestens nach drei, vier Filmen war mir klar, daß ich auf dem richtigen Weg bin. Ich merkte, was wirklich in mir steckt. 

PLAYMEN:
Inzwischen haben Sie 30 Filme gedreht. Würden Sie alle nochmal machen?

Udo Kier:
Anders. Jeden anders. Da ich inzwischen viel Erfahrung gesammelt habe, würde ich nicht mehr mit dieser, sagen wir mal, Naivität rangehen.

PLAYMEN:
Wie anders?Können Sie das konkretisieren?

Udo Kier:
Zum Beispiel in der "Geschichte der O":Ich habe mich damals vollkommen auf den Regisseur verlasssen und später festgestellt, daß es viel besser gewesen wäre, wenn ich mich mehr durchgesetzt hätte. Im Buch ist die erste Szene die erotischste. Ich habe auf Anweisung der Regie bei dieser Szene das Mädchen immer nur ganz leicht angefaßt und berührt. Es kam mir vor wie in einem Werbefilm. Heute würde ich das viel realistischer spielen, ich würde richtig zupacken. 

PLAYMEN:
Sie besitzen eine ganze Menge erotischer Ausstrahlung und sind sich Ihres Aussehens sehr wohl bewußt, oder?

Udo Kier:
Nun, ich mache mir nichts vor. Es wäre schade, wenn ich das nach 20 Jahren Arbeit nicht wüßte.

PLAYMEN:
Die Frage war weniger auf den Beruf als vielmehr auf den privaten Bereich bezogen. Rennen Ihnen die Frauen nicht die Türen ein?

Udo Kier:
Nein, nein, so ist es nicht. Natürlich bin ich mir meines Aussehens bewußt - schließlich sehe ich mich jeden Morgen beim Rasieren im Spiegel. Und früher, am Anfang meiner Karriere, als ich noch der "schöne Kier" auf den Bravo-Titelseiten war, da sind mir die Mädchen zweitweise auch tatsächlich nachgereist. Aber heute habe ich lieber einige nette Freunde, mit denen ich mich regelmäßig treffe.

PLAYMEN:
Mögen Sie es, umschwärmt zu werden?

Udo Kier:
Ich suche mir die Leute am liebsten selbst aus. Das heißt, wenn ich irgendwo hingehe und ich werde angemacht, gefällt mir das nicht so gut. Ich mache lieber selbst an.

PLAYMEN:
Wie sieht das im Detail aus?

Udo Kier:
Bei mir fängt alles beim Augenkontakt an. Dabei lernt man sich kennen. Ich mag es also nicht, wenn mich jemand auf die direkte Art angeht. Ich mache das lieber selbst mit meiner eigenen Vorstellung, meiner Ruhe und Überlegung.

PLAYMEN:
Haben Sie grundsätzlich etwas dagegen, wenn Frauen den ersten Schritt tun?

Udo Kier:
Natürlich schmeichelt es mir. Aber ich muß zugeben, daß ich auch etwas verwöhnt bin, weil ich doch sehr viel herumkomme und immer nur mit den schönsten Frauen des Filmgeschäfts zu tun haben - seien es nun Dayle Haddon, mit der ich "Spermula" gedreht habe, Corinne Clery in der "Geschichte der O", Doris Kunstmann oder Christiane Krüger. Dennoch habe ich im Privatleben gern meine Ruhe, und da mache ich lieber den ersten Schritt.

PLAYMEN:
Wo liegen Ihre Grenzen?

Udo Kier:
Ich bin sexuell sehr aufgeschlossen, in jeder Beziehung.

PLAYMEN:
Das heißt, Sie sind nach allen Seiten offen?

Udo Kier:
Das heißt, ich bin für alles zu haben. Ich kenne keine Tabus. Natürlich verführe ich keine kleinen Kinder, aber ich mache das, was mir gefällt. Ich bin der Meinung, jeder sollte sein Lebens so gestalten, daß er das Maximum rausholt - für seine Bedürfnisse, für seine Gefühle, für seine Zufriedenheit. 

PLAYMEN:
Das können auch gleichgeschlechtliche Kontakte sein?

Udo Kier:
Ich kann nicht behaupten, daß mich ein Mann noch nie angetörnt hätte. Dafür gibt es ja die besten Freunde.Wie weit das dann im einzelnen geht, ist die Sache jedes Einzelnen. Man kann nie sagen, das würde mir nie passieren, das würde ich nie tun. Entweder ergibt sich so etwas oder auch nicht.

PLAYMEN:
Würden Sie sagen, daß bestimmte Leute für gleichgeschlechtliche Beziehungen gemacht sind oder steckt die Anlage in jedem?

Udo Kier:
Das steckt in jedem drin. Und nicht erst, seit der Kinsey-Report herausgefunden hat, daß in Amerika jeder dritte Mann mit einem anderen Mann in irgendeiner Form Kontakt hat. Es muß ja nicht immer gleich ins Perverse ausarten. Ich meine damit, jeder sollte das machen, was er sich vorstellt, ohne daß es zum öffentliche Ärgernis wird. 

PLAYMEN:
Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Gruppensex?

Udo Kier:
Ich steh nicht drauf, weil ich mich sexuell und erotisch gern auf eine Person konzentriere. Ich habe es zwar schon versucht, aber es ist sehr schwierig: Ein ständiges Hin und Her, man gibt der einen Person mehr Zuneigung, will der anderen aber auch nicht wehtun und so weiter.

PLAYMEN:
Wahrscheinlich ist es bei Gruppensex sehr wichtig, daß zu keinem der Beteiligten großarige Gefühle bestehen, oder?

Udo Kier:
Richtig. Und deshalb stehe ich nicht drauf. Man kann es versuchen, wenn man Leute kennenlernt, die sympathisch sind. Ich würde allerdings nie bei Gruppensex-Parties über eine Zeitungsannonce mitmachen. Das ist dann nur noch Selbstbefriedigung, reines Abreagieren. Ich glaube, daß diese Leute sich sehr leer fühlen, wenn alles vorüber ist. Sex ist doch eine Sache, Liebe eine ganz andere. Bei einer Sexgeschichte ist man anschließend immer leerer als bei einer Liebesgeschichte, wo man Gefühle
investiert. 

PLAYMEN:
Und wie ist das bei Ihnen? Haben Sie längere Beziehungen zu Partnern oder machen Sie auch ganz gerne mal ein kleines Abenteuer für eine Nacht mit?

Udo Kier:
Das gab es früher. Ich habe viele Geschichten erlebt, die ganz anonym waren. Man sieht jemanden,der Kontakt stimmt, man schläft zusammen, bleibt bis zum Morgen oder zieht sich auch danach an und geht - Tschüs, keine Telefonnummer, kein weiterer Kontakt. Es gibt so viel Variationen bei sexuellen Erlebnissen, daß man stundenlang darüber sprechen könnte. Und gerade wir Schauspieler erleben dies sehr intensiv, weil wir soviel herumkommen.

PLAYMEN:
Das heißt aber auch, daß Sie kaum Chancen haben, eine längere Beziehung zu einem Partner aufzubauen, richtig?

Udo Kier:
Ich bin jetzt 38 Jahre alt und stelle immer mehr fest, daß ich auf der Suche nach etwas Unerreichbarem bin.

PLAYMEN:
Auch auf sexuellem Gebiet?

Udo Kier:
Nein, unerreichbar nicht. Alles ist erreichbar. Man muß sich nur, wenn man so verwöhnt ist wie ich, ein wenig auf die anderen Leute einstellen. Ich bin sehr narzißtisch veranlagt - das ist ganz klar, sonst wäre ich in meinem Beruf nicht so weit gekommen und würde ihn auch nicht mit solcher Liebe ausüben. Ich bin sicher, daß ich früher in sexuellen Beziehungen mich selbst mehr liebte als die Person, die mit mir geschlafen hat.

PLAYMEN:
Keine besonders günstige Ausgangsposition für eine länger Beziehung.

Udo Kier:
Kommt eben darauf an, was man sucht. Ich habe früher nie eine lange Beziehung gesucht, weil ich von vorneherein wußte, daß es mit Komplikationen verbunden sein würde, da ich mich nirgenwo lange aufhielt. Es bleib immer nur Zeit für die Periode eines Films, also in der Regel zwischen sechs Wochen und drei Monaten. Ich hätte bei allem, was darüber hinausgegangen wäre, entweder meinen Beruf oder die Beziehung vernachlässigt.

PLAYMEN:
Und Sie haben sich immer für den Beruf entschieden?

Udo Kier:
Jeder Film, den ich mache, ist für mich wie eine Verlobung. Ich lerne neue Leute kennen, gehe mit ihnen aus, man findet gemeinsame Interessen und kann natürlich auch zusammen schlafen, klar.

PLAYMEN:
Passiert es oft, daß es zu einer intimen Beziehung mit einer Ihrer Filmpartnerinnen kommt?

Udo Kier:
Eher selten, es sei denn, daß eine große Sympathie da ist. Das ist Voraussetzung. Wenn ich einen Film mache, bestehe ich darauf, die Partnerin vorher kennenzulernen, ebenso den Regisseur. Es gab Situationen, in denen ich Filme abgelehnt habe, weil mir der Regisseur unsympathisch war. Ich gebe während eines Films doch sehr viel von mir her, und dies bedarf einer gewissen Vertrauensbasis. 

PLAYMEN:
Verbindet Sie mit einigen Leuten auch über die Dreharbeiten hinaus eine private Beziehung?

Udo Kier:
Ja, das gibt es. Barbara Valentin oder auch Christine Kaufmann sind gue Freundinne von mir, wir sehen uns auch privat. Wenn ich mit Barbara einen Film drehe und wir spielen ein Liebespaar - wie zuletzt in "Die blutigen Plantage" unter der Regie von Kurt Raab -, dann sind da unsere echten Gefühle im Spiel. Nur gehen wir im Film weiter als im Privatleben.

PLAYMEN:
Ist es nicht gerade für die Rolle eines Liebespaares zuträglich, wenn auch privat eine sexuelle Verbindung besteht?

Udo Kier:
Das kann angenehm sein, kann aber auch sehr störend wirken, weil dann kein Respekt mehr da ist. Es läuft alles auf einer sehr privaten Ebene ab, auf keiner beruflichen. Es passiert sehr selten, daß ich mit Leuten, mit denen ich arbeite , privat sexuelle Beziehungen haben.

PLAYMEN:
Außerdem sind Sie wahrscheinlich wärend der Dreharbeiten ausgelastet genug?

Udo Kier:
Der Beruf des Schausielers ist ein sehr harter. Nicht nur körperlich hart, sondern auch geistig. Wenn ich einen Film drehe, verbrauche ich sehr viel Energie, weil ich viel schneller lebe, in einem ganz anderen Rhythmus. Ich werde dann zum Kettenraucher, schütte Unmengen an Kaffee in mich hinein. Abends bin ich dann meist so aufgekratzt, daß ich ein paar Gläser Wein trinken muß, um mich aus diesem Zustand zu lösen.

PLAYMEN:
Und was tun Sie nach Abschluß der Dreharbeiten, um sich zu erholen, zu entspannen?

Udo Kier:
Ich interessiere mich sehr für moderne Kunst, bin auch ein begeisterter Sammler. Außerdem drehe ich selbst Video-Filme mit Malern und Künstlern zusammen. Ab und zu mache ich Performance in Museen. Man muß zwischen zwei Rollen auch etwas für sich tun.

PLAYMEN:
Und an der Initiative dafür mangelt es Ihnen sicher nicht.

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