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Spielfilm, Oktober 1998, Kuno Nensel
Mein
Ego kann keiner erschüttern!
Udo Kier ist seit drei Jahrzehnten Exot und Exzentriker der Filmszene.
Und einer der wenigen deutschen Namen, die sich Hollywood gemerkt hat
Natürlich böte es sich an, Udo Kiers Geschichte als Märchen zu
erzählen: Es war einmal ein hübscher Junge, der in Armut aufwuchs, in
einer Stadt, die in Trümmern lag. Der in die Welt zog, sein Glück zu
suchen. Und der heute, als reifer Mann, neben Armin Mueller-Stahl als
einziger deutscher Schauspieler in Hollywood etwas gilt. Aber Märchen
spielen in einer unbestimmten Vergangenheit, Kiers Geschichte konnte
so nur in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren stattfinden.
Im Märchen ist der Narziß der Böse oder endet wenigstens tragisch.
Kier war und ist ein Narziß und trotzdem Gewinner. Der Junge, der im
Märchen sein Glück sucht, begegnet üblicherweise einer guten Fee. Udo
Kiers Weg kreuzt sich mit denen von Andy Warhol und Rainer Werner
Fassbinder. Und die gehen sicher nicht als Feen durch. Schon weil eine
Fee Dank verdient. "Fassbinder beispielsweise bin ich nicht dankbar",
sagt Kier. "Er war wichtig, aber ich hatte nie den Respekt, den andere
vor ihm hatten, weil wir uns aus der Jugend kannten. Aus einer ganz
asozialen Kneipe in Köln. Er sah immer so aus, wie man ihn später
kannte. Ich war damals der gutaussehende Knabe, das hat sich ergänzt."
Der gutaussehende Knabe Udo weiß schon als Jugendlicher um seine
Wirkung auf andere. "Talent ist Egoismus, Überzeugung von dir selbst.
Das habe ich mit zwölf entdeckt." Damals imitierte er Caterina
Valente." Ganz Paris träumt von der Liebe" - und Kiers Mutter träumte
zu dieser Platte. Eines Abends kam sie in mein Zimmer, um nachzusehen,
ob ich schlafe. mein Bett war leer. Dann sah sie durchs Fenster viele
Leute um den Schuttberg hinter unserem Haus herumstehen. Und oben auf
dem Berg war ich und habe getanzt." Als Kier den dicklichen,
pickeligen Rainer wiedertrifft, der ihm in Köln durch die Nacht
gefolgt war, ist der ein gefeierter Regisseur. Kier hat Jahre in
London, in Paris und in Rom hinter sich. War in den
Hochglanz-Illustrierten zu sehen mit Delon und Warhol, mit Jean Marais
und dem Krupp-Erben Arndt von Bohlen und Halbach. Aus dem schönen
Jungen ist ein Objekt der Begierde des Jet-set geworden - und ein
beachteter Schauspieler, seit er Luchino Visconti in einem Lokal in
London auffiel. Kier jobbte als Kellner, Visconti brachte ihn zum
Film. Und im Film der ausgehenden sechziger und frühen siebziger Jahre
ist Platz für einen jungen Mann, der diese ungewöhnliche Mischung aus
Exzentrik und androgyner Erotik ausstrahlt. Zwei Chancen zum Einstieg
in Hollywood hat er da schon vergeben. Die erste nach Warhols
"Dracula" und "Fankenstein" unter der Regie von Paul Morrissey.
"Das hätte damals der Einstieg in den amerikanischen Film sein können.
Aber ich saß in Rom und fand das ganz toll. Die zweite Chance war ,
"Die Geschichte der O", aber da war ich wieder irgendwo anders." Die
dritte Chance kommt erst 15 Jahre später.
Statt dessen: Fünf Produktionen mit Fassbinder, in denen er lernt und
leidet. "Während, Lili Marleen haben wir zusammen gewohnt. Ich war der
Hausmann, der auf ihn aufpaßte, ihn mit dem roten BMW mit
Höchstgeschwindigkeit ins Studio fuhr und dann noch gesagt bekam, ich
sei der schlechteste Autofahrer. Mein Selbstbewusstsein ging in den
Keller. "Nach "Lola" war Schluss. Seitdem hat niemand mehr geschafft,
mein Ego zu erschüttern.
Und noch etwas ist ihm klar geworden, damals: "Ich bin kein Mensch,
der zu einer Familie gehören will. Ich bin immer Einzelgänger
gewesen." Mit allen Konsequenzen. "Jetzt, mit 54, fehlt eine Person,
mit der ich Erfolg oder Mißerfolg teilen kann: "Schatz, ich lande um
neun. Champagner! Ich hatte gerade den Kopf zwischen den Beinen von
Madonna."
Die entdeckte Udo Kier für ihr Video "Deeper and Deeper" in Gus Van
Sants "My Private Idaho". Aus einer kleinen, unsympathischen Rolle -
er spielt einen Freier, der River Phoenix und Keanu Reeves abschleppt
- hat Kier einen großen Auftritt improvisiert. Es ist seine dritte
Chance im US-Kino. Und diesmal nutzt er sie konsequent. Was Hollwood
beeindruckt, sind gerade die kleinen Auftritte, aus denen er
mehr macht als andere aus ihren Hauptrollen. Branchenblätter wie
Variety oder Hollywood Reporter schreiben über Udo Kier in "Even
Cowgirls Get the Blues". Oder in Lars von Triers "Breaking the Waves".
Und Deutschland? Von dort kommen TV-Angebote, die manchmal mehr
versprechen, als sie halten. Ich glaube zuerst immer an die Rolle,aber
es ist schon häufiger vorgekommen, dass ich in der Mitte dachte: Okay,
dann eben fürs Geld. Warum nicht? Andere verdienen viel mit
wenig Talent. Und: Alt zu werden, nur mit deinem Hund zu leben und
dann noch kein Geld zu haben - das ist furchtbar." Ein Gutteil gibt
Kier, der Narziss und Ästhet, aus für Schönheit. Moderne
Kunst, Designermöbel. "Wenn ich , wie jetzt, nach zwei Monaten und
drei Filmen nach L.A. zurückkomme, schliesse ich mich drei Tage ein
und habe nur schöne Sachen um mich herum. Und wenn ich wieder irgendwo
den Teufelsaustreiber mit den dämonischen Augen spiele, liege ich in
meinem Hotelbett und denke: Wenn du zurückkommst, machst du den Garten
ganz anders. Und die orangefarbene Wand wird apfelgrün. Bis die grosse
Liebe kommt, dann ist alles egal. Dann können Wände auch grau sein."
Das Glück zu finden bedeutet im Märchen meist, die Prinzessin zu
bekommen. Oder den Prinzen.
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